Zum Inhalt:
Unterstützen Sie Manova mit einer Spende
Unterstützen Sie Manova
Die angekündigte Hungerkatastrophe

Die angekündigte Hungerkatastrophe

Trockenheit und Umweltkatastrophen bedrohen in Indien die Herbsternte — die Folgen für die Ernährungssicherheit könnten verheerend sein.

Der indische Wetterdienst (India Meteorological Department, IMD) hat zwar für September normale Niederschläge vorhergesagt, aber das aggressive Verbot der Regierung, Reis zu exportieren, und Zölle auf Gemüse und weitere Lebensmittel weisen eindeutig auf eine andere Realität hin. Unsere politischen Entscheidungsträger sind tief besorgt über die drohende Nahrungsmittelkrise.

Angeblich ist es August in Delhi, aber wenn ich mir meine Chili- und Basilikumpflanzen ansehe, erzählen sie eine andere Geschichte. Diese Terrassenpflanzen laufen vor der Sonne davon und nicht auf sie zu. Die duftenden Basilikumblätter sehen jeden Mittag verdorrt aus und erinnern mich an den Sommer (1).

Foto: Hamish John Appleby/IWMI/Flickr CC BY-NC-ND 2.0



Delhi und Indien erleben einen August, der einer Dürre gleicht. Die Zahlen sprechen für sich: Indien meldete den trockensten und heißesten August seit 1901. Berichten zufolge könnte dies auch der zweittrockenste August sein, den Delhi je erlebt hat, der trockenste war 2022.

Die Berichte aus dem Westen und Süden, einschließlich Südwest-Rajasthan, Gujarat und bis hinunter nach Maharashtra und Karnataka, sind nicht gut. Alle diese Gebiete hatten unterdurchschnittliche Niederschläge.

Indien befindet sich derzeit im El-Niño-Jahr und erwartete eine Unterbrechung des Monsuns, die zu Dürren und Problemen bei der Ernährungssicherheit führen könnte. Die Vorhersagen scheinen sich zu bewahrheiten, denn der August meldete Niederschläge, die 36 Prozent unter dem Normalwert lagen. Die südliche Halbinsel meldete Niederschläge, die 60 Prozent unter dem Durchschnitt lagen, was die Landwirte in diesen Gebieten, die sich vom Regen ernähren, alarmiert. Diese Befürchtungen sind auch der Regierung zu Ohren gekommen, da die Nachfrage nach Arbeit im Rahmen der gesetzlichen indischen Beschäftigungsgarantie für den ländlichen Raum, Mahatma Gandhi National Rural Employment Guarantee Act (MGNREGA), aufgrund der Unwägbarkeiten des Wetters um 20 Prozent gestiegen ist.

Landwirte, die die Situation bereits einschätzen, haben ihre Reisanbaufläche um 384 Hektar verringert, was einem Rückgang von 4 Prozent gegenüber dem vorherigen Fünfjahresdurchschnitt entspricht. Auch die Landwirte in Indiens Nahrungsmittellandschaft Punjab, Haryana und Uttar Pradesh im Norden leiden unter den unzeitgemäßen Regenfällen. Von Himachal Pradesh bis zum pakistanischen Punjab haben Regenfälle und Überschwemmungen die Landwirte und andere Menschen schwer getroffen. Andere Kulturen wie Hülsenfrüchte, Ölsaaten und Reis sind von den veränderten Wetterbedingungen betroffen. Rückblickend hat der Zyklon Biparjoy das Monsundefizit auf dem Subkontinent eingeläutet.

Das IMD hat zwar für September normale Niederschläge vorhergesagt, aber das aggressive Verbot der Regierung, Reis zu exportieren, und Zölle auf Gemüse und weitere Lebensmittel weisen eindeutig auf eine andere Realität hin. Unsere politischen Entscheidungsträger sind tief besorgt über die drohende Nahrungsmittelkrise. Wenn es im September nicht wie erwartet regnet, werden die regengespeisten Gebiete in große Bedrängnis geraten, was den Druck auf die Regierung erhöht. Die Menschen, die über Bewässerungsmöglichkeiten oder „Untergrundbohrungen“ verfügen, werden stark von den immer knapper werdenden Oberflächen- und Grundwasserressourcen abhängig sein. Denn eine weitere unterdurchschnittliche Ernte können sich weder die Bauern noch die Regierung leisten.

Die Rabi-Ernten waren in den letzten beiden Jahren unterdurchschnittlich. Auch die Kharif-Ernte war in den letzten Jahren nicht die beste. Unzeitgemäße Regenfälle, Hitzewellen und Hagelstürme haben auf dem gesamten Subkontinent den größten Schaden angerichtet.

Die indischen Nahrungsmittelbestände sind bereits erschöpft, und viele politische Entscheidungsträger und Landwirte hatten auf eine gute Ernte gehofft, aber die Natur hat offenbar andere Pläne.

Agrarklimakrise?

Es ist an der Zeit, ein wenig herauszuzoomen und bestimmte Fragen zu stellen: Was hat sich in Indien getan? Verändern sich die Dinge in der Landwirtschaft wirklich? Steuern wir auf eine Nahrungsmittelkrise zu? Die kurze Antwort auf die letzten beiden Fragen lautet Ja, nach allem, was wir bisher wissen.

Die erste Phase der Agrarklimakrise — anhaltende klimatische Störungen in der Landwirtschaft — wurde 2019 mit unterbrochenen Monsunen, Überschwemmungen und acht tropischen Wirbelstürmen sichtbar.

Einem globalen Bericht über den Klimawandel zufolge war Indien „2019 weltweit am siebtstärksten von den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels betroffen“, wobei die Klimaveränderungen bis zu 0,72 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) des Landes verschlangen.

Der ungewöhnliche Heuschreckenangriff von 2020 hat die Wunde noch vergrößert. Dies war Berichten zufolge der größte Angriff dieser Art seit über drei Jahrzehnten. Die Heuschrecken schädigten die Ernten auf dem gesamten westlichen und nördlichen Subkontinent. Die verfrühten Regenfälle boten den Heuschrecken im Westen Indiens neue Brutstätten. Dies war ein weiteres Symptom für die sich anbahnende Agrarklimakrise.

2021 fielen erneut unregelmäßige Niederschläge, und das IMD wies darauf hin, dass in sechs Bundesstaaten weniger Regen fiel, während in 12 Bundesstaaten übermäßige Niederschläge verzeichnet wurden. Insgesamt fielen in etwa 40 Prozent der 703 Bezirke in Indien durchschnittliche Niederschläge. In sechs Jahren (2015 bis 2021) verlor Indien 33,9 Millionen Hektar Anbaufläche durch Überschwemmungen und übermäßige Regenfälle und 35 Millionen Hektar durch Dürre — Zahlen, die im Laufe der Jahre wahrscheinlich noch steigen werden.

Bis 2022 wird sich dieses Muster wiederholen: reduzierte Rabi-Ernte, unzeitgemäße Kharif-Regenfälle und um 6 Prozent gesunkene Kharif-Reisproduktion. Gleichzeitig stieg die Zahl der hitzebedingten Todesfälle in 17 Jahren um 55 Prozent. Die Opfer waren nicht nur Menschen, sondern auch die Rabi-Weizenernte in Nordindien, die Berichten zufolge um mindestens 13,5 Prozent zurückging.

Die Regierung reagierte schnell mit einem Weizenexportverbot und versuchte gleichzeitig, die öffentliche Panik einzudämmen. Die Finanzministerin der Unionsregierung, Nirmala Sitharaman, sagte in ihrer Rede vor dem Parlament sogar: „Sie (die Landwirtschaft) ist 2021 und 2022 um 3,0 Prozent gewachsen, verglichen mit 3,3 Prozent in 2020 und 2021“, und machte den Klimawandel dafür verantwortlich. Sie machte auch deutlich, dass Indien seine Politik „neu ausrichten“ müsse, um die Herausforderung des Klimawandels zu bewältigen.

Sogar eine Studie der Punjab Agriculture University stimmt mit der Ansicht der Finanzministerin überein und sagt voraus, dass Punjab bis 2050 mit dem Klimawandel zu kämpfen haben und aufgrund der steigenden Temperaturen erhebliche Ertragseinbußen erleiden werde.

Das war auch bei der Ernte 2022 und 2023 nicht anders. In verschiedenen Teilen Indiens gab es klimatische Probleme, vor allem unzeitgemäße Regenfälle. Punjab und andere Teile des Landes waren davon betroffen. Und dann kam der extrem schwere Wirbelsturm Biparjoy, der über den westlichen Subkontinent hinwegfegte und unsere Monsune austrocknete.

Damit ist die zweite, wirtschaftliche Phase der agroklimatischen Krise erreicht — die Hyperinflation bei Lebensmitteln. Nach Tomaten und Zwiebeln erreicht die Inflation nun auch andere Grundnahrungsmittel wie Hülsenfrüchte und Gemüse. Die Futtermittelpreise steigen allmählich, da das indische System aufgrund von Klimastörungen seine Widerstandsfähigkeit verliert. Die meisten Regierungsprogramme haben es versäumt, Infrastrukturen oder Frachtnetze für die Lagerung und die Vermeidung klimabedingter Ernteschäden aufzubauen. Von Hagelstürmen in Kaschmir bis hin zu einem trockenen August in Karnataka: Die Landwirte sind am wenigsten vorbereitet, sodass die Ernteverluste zunehmen werden.

Bedenken wir dazu, dass die strategischen Nahrungsmittelreserven Indiens auf dem niedrigsten Stand sind und 800 Millionen Menschen direkt über das öffentliche Verteilungssystem der Regierung versorgt werden.

Angesichts eines Rupien-Kurses von 82 bis 83 Dollar und des immer noch eskalierenden Ukraine-Russland-Konflikts können wir uns bei der Deckung unseres Lebensmittelbedarfs nicht wirklich auf den internationalen Markt verlassen.

Damit sind wir bei der dritten Phase der Agrarklima- und Nahrungsmittelkrise angelangt — der Konvergenzphase. Wenn die Kharif-Ernte ausfällt oder erneut unter dem Durchschnitt liegt, wird die indische Ernährungssicherheit durch die Kumulation der klimabedingten Agrarverluste stark beeinträchtigt werden. Wir befinden uns in der dritten Phase der Krise, wenn die landwirtschaftliche Produktion beeinträchtigt wird und die wirtschaftlichen Maßnahmen nicht ausreichen, um die Hyperinflation bei Nahrungsmitteln einzudämmen.

Nach zwei oder drei Zyklen dieses Musters steht jedes Land kurz vor einer ausgewachsenen Agrar- und Klimakrise. Schlechte Ernten, wiederholte Klimastörungen, Hyperinflation bei Nahrungsmitteln, Knappheit und fehlende internationale Lieferungen bilden zusammen eine Zeitbombe für Unterernährung. Wenn wir unseren agrarpolitischen Kurs nicht ändern, könnten 2024 oder 2025 die Jahre sein, in denen eine vollwertige Mahlzeit ein Privileg ist, das sich nur wenige leisten können.


Redaktionelle Anmerkung: Dieser Text erschien zuerst unter dem Titel „After a Record Dry August, Is India's Kharif Harvest in Trouble?“ auf The Wire. Er wurde von Elisa Gratias übersetzt und vom ehrenamtlichen Manova-Korrektoratsteam lektoriert.


Quellen und Anmerkungen:

(1) Indien kennt eine Winter-, eine Sommer- und eine Monsun-Jahreszeit. Während des Winters — in den Monaten Dezember bis März — ist es in Indien im Allgemeinen trocken, und die Temperaturen liegen zwischen 20 und 30 Grad. In den Sommermonaten April und Mai können die Temperaturen hoch sein, im Norden Indiens sogar auf mehr als 40 °C steigen. Die Regenzeit in Nordindien liegt zwischen Juni und Oktober, im Süden Indiens fällt der meiste Niederschlag im Juni, Oktober und November. Während der Regenzeit kann es zu heftigen und lang anhaltenden Regenfällen und als Folge davon in einigen Bundesstaaten zu Überschwemmungen kommen. Die Westküste und der Nordosten Indiens sind im Allgemeinen am stärksten vom Monsunregen betroffen (visumantrag.de).


Wenn Sie für unabhängige Artikel wie diesen etwas übrig haben, können Sie uns zum Beispiel mit einem Dauerauftrag von 2 Euro oder einer Einzelspende unterstützen.

Oder senden Sie einfach eine SMS mit dem Stichwort Manova5 oder Manova10 an die 81190 und mit Ihrer nächsten Handyrechnung werden Ihnen 5, beziehungsweise 10 Euro in Rechnung gestellt, die abzüglich einer Gebühr von 17 Cent unmittelbar unserer Arbeit zugutekommen.

Weiterlesen

Hygienischer Protest
Aus dem Archiv

Hygienischer Protest

Die Kritiker der Berlin-Demo vom 1. August 2020 prophezeiten, anschließend würde die Zahl der Neuinfektionen enorm ansteigen.